Cuxland

Das macht Neuwerk so besonders: Warum Einheimische ihre Insel lieben

Die Insel Neuwerk macht Schlagzeilen mit Gastfreundschaft: Nachdem ein Fahrgastschiff strandete nahmen die Insulaner die Urlauber auf. Doch lebt es sich dort? Wir waren schon 2020 da und haben von den Einheimischen erfahren, was Neuwerk so besonders macht.

Immer romantisch: Auf dem Wattwagen geht es in Richtung Neuwerk.

Immer romantisch: Auf dem Wattwagen geht es in Richtung Neuwerk. Foto: Mohssen Assanimoghaddam/dpa

Dieser Artikel erschien zuerst am 15.09.2020

Wie lebt es sich auf Neuwerk? Was denken die Einwohner über die Touristen? Wir haben uns auf den Weg gemacht zum grünen, ruhigen und vom Wattenmeer umschlungenen Eiland an der Elbmündung. Wir haben mit Einheimischen und Touristen gesprochen, waren nah dran an der Seele der Ur-Neuwerker. Und eines wurde schnell klar: Die Insulaner lieben ihr Neuwerk, sie hängen mit Herz und Leidenschaft an ihrer Heimat. Wir nehmen Sie auf diesen spannenden Ausflug. Die Küste ruft.

Von Sahlenburg nach Neuwerk

Startpunkt für unseren Tagesausflug nach Neuwerk ist Sahlenburg, quasi ganz im Osten von Cuxhaven. Okay, die Hochhäuser direkt am Strand sind zwar rein optisch ein Sündenfall, Urlauber-Bettenburgen halt, aber das ist für den heutigen Tag egal. Unser Blick richtet sich in Richtung Düne. Gleich dahinter beginnt der knackig gelbe Strandbereich, dahinter dann kommt schon das Wattenmeer. Und wer den Horizont ins Visier nimmt, der erkennt sie schon schimmernd in der Ferne, die Insel Neuwerk.

Die Silhouette wirkt wie gemalt. Man erkennt den über 700 Jahre alten Leuchtturm, vereinzelt Dächer und Bäume. Sieben Kilometer Luftlinie liegen zwischen dem Strand in Sahlenburg und Neuwerk. Mit Schnörkelkurs vorbei an den Prielen sind es zehn Kilometer Wattstrecke, im Spiel der Gezeiten mal bedeckt von Nordseewasser oder frei zum Laufen.

Auf geht's nach Neuwerk

Auf geht's nach Neuwerk. Von Sahlenburg aus wollen wir auf die Insel starten. Reporter Matthias Berlinke begrüßt die Leserinnen und Leser

Also, auf geht’s! Mit dem Wattwagen nach Neuwerk. Etwas länger als eine Stunde dauert die Überfahrt mit dem Pferdegespann. Die Kutsche muss man vorher unbedingt buchen. Und immer schön kalkulieren: Wie komme ich wieder zurück von Neuwerk? Auch mit der Kutsche? Fährt das Schiff nach Cuxhaven? Falls ja, auch hier unbedingt reservieren. Sonst kommt man vielleicht nicht mit. Und es „droht“ eine Zwangsübernachtung. Einfach so zu Fuß zurück von Neuwerk geht nicht. Die Flut kennt keine Gnade.

Auf dem Weg nach Neuwerk

00:17 min

Mit der Kutsche nach Neuwerk – grundsätzlich eine Top-Sache. Als Tourist sitzt du an der frischen Luft, hast den salzigen Geruch der Nordsee in der Nase. Aber es gibt einen Haken. Die Abfahrtszeiten der Kutschen sind nicht immer verlässlich – was nicht an den Betreibern liegt, bestimmt nicht. Die sind sehr pflichtbewusst und würden ihre Gäste sogar auf Händen auf die Insel tragen. Das Problem ist die Tide.

Manchmal kommen die Wattwagenfahrer nicht über das Duhner Loch, ein großer Priel zwischen Cuxhaven und Neuwerk. An dem kommt man nicht vorbei. [Update: Mittlerweile führt ein neuer Weg nicht mehr mitten durch das Duhner Loch. Mehr dazu lesen Sie hier]. Läuft das Wasser nicht richtig ab oder steht der Wind schlecht, kommen die Kutschen nicht durch. Der Wasserstand ist dann einfach zu hoch. Die Kutschen kehren um. Abfahrten fallen aus. Urlauber schauen dann schon mal in die Röhre.

Michael Fischer kennt das Problem. Der Cuxhaven-Urlauber aus Barsinghausen saß auch schon im Wattwagen und kam nicht rüber nach Neuwerk. Ärgerlich. Jetzt steht Fischer wieder am Strand von Sahlenburg, den Blick gerichtet gen Nordwesten. Dort liegt Neuwerk.

Tourist Michael Fischer aus Barsinghausen

18.09.2020
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Michael Fischer aus Barsinghausen macht Urlaub in Cuxhaven. Gerne würde er auch eine Tour nach Neuwerk machen. Ob er die Insel auch für ein Traumziel hält?

Urlauber Fischer bleibt heute in Sahlenburg. Schade für ihn. Wir haben die Kutsche gebucht – und die kommt auch. Diesmal hat es mit der Wassertiefe am Duhner Loch gepasst. Die Kutschen – von Neuwerk kommend – standen nur kurz still, um zu warten. Es gibt grünes Licht, die Wattwagen kommen, wir können von Sahlenburg aus losfahren.

Werner Fock ist Neuwerker mit Leib und Seele.

Werner Fock ist Neuwerker mit Leib und Seele. Foto: Matthias Berlinke

Sind bestimmt zehn oder zwölf Kutschen auf Achse, die heute in Richtung Neuwerk rollen. Alle voll besetzt. Kein Wunder, das Wochenende naht. Kegelclubs sind dabei, zwei Tage ein bisschen Party machen und die Sau rauslassen auf Neuwerk. Aber auch Familien und Senioren klettern die Seitenwand hoch auf die gepolsterten Sitzbänke. So um die 75 Minuten dauert die Fahrt durchs Watt.

Der Reporter hat sich einen Platz neben Werner Fock gesichert. Der 62-Jährige ist ein waschechter Neuwerker. Im Süden der Insel besitzt Fock ein Hotel und ein Restaurant. Und Wattwagen gehören ihm auch. Fock, der von seinen Stammgästen liebevoll „Focki“ gerufen wird, hat selbst die Zügel seiner in der Hand. Mit diesem Original muss man auf der Überfahrt sprechen. Auch über die aktuellen Probleme von Neuwerk und der immer geringeren Zahl an Einwohnern.

Auf dem Wattwagen mit Werner Fock

18.09.2020

Wir sprechen mit Werner Fock über die aktuelle Lage auf der Insel und den Rückgang bei den Bewohnerzahlen.

Neuwerk ist ein Paradies. Grün, ruhig und mit viel Natur bestückt. Wer einsame Stunden am Deich mag, Menschenmassen am liebsten aus dem Weg geht, der kommt hier immer auf seine Kosten. Aber Neuwerk liegt nicht auf einem anderen Planeten. Probleme wie Corona beschäftigen auch die Insulaner. Zwar gab es auf Neuwerk noch keinen positiven Covid-19-Fall, aber die vorgeschriebenen Kontaktbeschränkungen machten den Gastronomen und Hoteliers das Leben schwer. Sechs Wochen ging gar nichts. Touristen und Tagesgäste kamen nicht auf die Insel. Jetzt entspannt sich die Lage wieder. Das berichtet auch Werner Fock. „Die Buchungszahlen jetzt sind besser als zum gleichen Zeitpunkt 2019. Aber das, was wir in den acht Wochen der extremen Corona-Phase verloren haben, holen wir nicht mehr rein“, sagt Fock. „Ich denke aber, dass wir auf Neuwerk alle einigermaßen durch die Krise gekommen sind und keiner aufgeben musste.“

Corona und die sinkende Einwohnerzahl – das sind gravierende Probleme, auch für Fock. Aber Sorgen bereitet ihm auch das Duhner Loch, diese Thematik haben wir ja schon einmal skizziert.

Das Duhner Loch bereitet Sorgen

18.09.2020

Wattwagenfahrer und Neuwerk-Urgestein Werner Fock berichtet über Probleme mit dem Duhner Loch. Wenn da nichts passiert, können die Kutschen nicht mehr mit der gewollten Verlässlichkeit zwischen der Insel und dem Festland unterwegs sein.

Auf Neuwerk leben noch rund 20 Menschen. Die ganz genau richtige Zahl ist schwer zu ermitteln. Auch Werner Fock kennt sie nicht. Aber fest steht: Die Einwohnerzahl nimmt ab. Merkt man auch bei den Kindern. Die Inselschule, auf der bis zum Sommer noch zwei Kinder unterrichtet wurden, ist dicht. Der Umzug der Schulleiterin aufs Festland wurde gerade erst abgewickelt.

Christian Griebel könnte man auch Bürgermeister nennen

Chef auf Neuwerk ist Christian Griebel. Er betreibt mit seiner Familie ähnlich wie Fock ein Hotel und ein Restaurant. Griebel ist zudem noch von den Einwohnern gewählter Inselobmann. Man könnte ihn auch Bürgermeister nennen, so richtig wehren würde er sich gegen diese Bezeichnung wahrscheinlich nicht.

Griebel ist Ansprechpartner für alles. Medizinische Notfälle, Feuerwehreinsätze – solche Dinge können bei ihm schon auf dem Tisch landen. Einen Arzt oder eine Apotheke gibt es auf Neuwerk nicht, und die Feuerwehr ist mit einer Handvoll Leute dünn besetzt. Da muss jeder mit anpacken. Griebel ist Ansprechpartner für alle. Auch für uns.

Inselobmann Christian Griebel im Interview

Christian Griebel ist Inselobmann auf Neuwerk. Er kennt die Schönheiten der Insel, liebt deren Charme. Und er hat Ideen, wie man dem Bewohnerschwund entgegenwirken kann.

Blick in den Kaufmannsladen. Monika Lange steht gerne hinter dem Tresen.

Blick in den Kaufmannsladen. Monika Lange steht gerne hinter dem Tresen. Foto: Matthias Berlinke

Übrigens: Wer meint, dass man auf Neuwerk verhungern muss, wenn man nicht gerade ein Restaurant besucht, der liegt falsch. Es gibt da noch eine wichtige Anlaufstelle – den Kaufmannsladen Lange, gleich neben dem Leuchtturm gelegen. Hier kann man sich mit den überlebenswichtigsten Dingen eindecken. Was zum Trinken, was zum Essen. Und wer mag, kann hier auch den Neuwerker Eiergrog probieren. Der Biergarten vor dem Laden ist ein beliebter Treffpunk. Small-Talk garantiert. Und wenn man wissen will, wie es um die Zukunft Neuwerks bestellt ist, muss man mit den Chefs des Einkaufsladens sprechen. Genau das haben wir getan. Wir trafen Monika Lange hinter der Ladentheke.

Neuwerker Inselkaufmann: Gespräch mit Monika Lange

18.09.2020

Es gibt auf Neuwerk einen einzigen Kaufmannsladen, vielleicht kann man auch Kiosk mit kleinen Biergarten sagen. Hinter der Theke sprechen wir mit Chefin Monika Lange. Gerade macht sie frische Fischbrötchen fertig.

Was nehmen wir mit von unserer Reise nach Neuwerk? Es fehlt Wohnraum. Wenn der gegeben wäre, könnten sich Familien ansiedeln. Ihren Charme soll die Insel auf keinen Fall verlieren. Heißt: Riesige, mehrgeschossige Neubauten passen hier nicht hin. Auch der Massentourismus passt nicht zu Neuwerk. Die Bewohner haben Angst davor, dass das Wattenmeer als Verbindung nach Cuxhaven immer schwieriger zu händeln sein könnte. Das Duhner Loch muss auch über viele Jahre passierbar bleiben. Sonst droht das Aus für die Wattwagen und spektakuläre Touren mit der Kutsche. Aber eines bleibt so, wie es ist: Die Neuwerker lieben ihre Insel. Und das auf ewig.

Bevor wir jetzt hier einen Schlussstrich ziehen, wollen wir auch noch einen Neuwerk-Touristen zu Wort kommen lasse. Einen, den es seit Jahren auf die Insel zieht. An Horst Schween aus Zeven kommt man nicht vorbei.

Verliebt in die Insel: Neuwerk-Urlauber Horst Schween

Horst Schween aus Zeven genießt die Ruhe auf Neuwerk. Der Urlauber kommt gerne auf die Insel.

So sieht der Inselkaufmann Lange von außen aus.

So sieht der Inselkaufmann Lange von außen aus. Foto: Matthias Berlinke

Schween wird die Insel – so wie immer – wieder mit der Kutsche verlassen. Kann man machen. Für Tagestouristen wie uns empfiehlt sich das Schiff. Wenn das Hochwasser kommt, macht die „Flipper“ im Hafen von Neuwerk fest. Die Reederei Cassen Eils betreibt den Liniendienst vom Festland zur Insel. 90 Minuten dauert eine Fahrt, erst durch den Priel, dann rein in das Fahrwasser der Elbe, Kurs „Alte Liebe“ in Cuxhaven. Die Schiffsverbindung ist wichtig für die Insulaner und die vielen Urlauber. Mit Wattwagen allein wird Neuwerk nicht attraktiv bleiben.


Matthias Berlinke

Online-Redakteur

Matthias Berlinke, geboren 1971, ist seit 1992 im Verlag. „McBörli“ hat nebenbei für viele Radiostationen in Deutschland Eishockey-Übertragungen gemacht. Was Berlinke liebt: Bockwürste, Lokomotiven, den Hukilau (hawaiianischer Tanz) und natürlich seine Mädels daheim.

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